Die Nachfrage war groß – zu Recht! Auf Einladung der örtlichen SPD zeigten sich die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer tief beeindruckt von der neuen Dokumentation auf dem Obersalzberg. SPD-Ortsvorsitzender Hans Metzenleitner und Roman Niederberger, der Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion hoben in ihrer Begrüßung die hohe Bedeutung der neuen Dokumentation Obersalzberg hervor. Leider liege diese Bedeutung nicht nur in der politisch-historischen Aufarbeitung und Verantwortung aller Deutschen, sondern auch darin, der aktuellen Tendenz von Teilen der Bevölkerung hin zu national-autoritären Politikformen den Spiegel vorzuhalten. Aus einem gelungenen Mix aus der Darstellung lokaler Schicksale, aus der alles andere als harmlosen Berghof-Gesellschaft sowie der konsequenten Linie der Nazi-Politik in den Vernichtungskrieg wird den Besuchern ganz ohne erhobenem Zeigefinger die innere Logik des menschenverachtenden Regimes eindrücklich vor Augen geführt. Metzenleitners Dank galt Bildungsreferentin Dr. Nadine Tauchner und Bildungsreferent Dr. Mathias Irlinger, die eine enorm kenntnisreiche und hoch interessante Führung boten, die auch für gut informierte Besucherinnen und Besucher viel Neues brachte.
Mit „Idyll und Verbrechen“ ist der erste Ausstellungsabschnitt überschrieben. Bilder vom Berghof auf dem Obersalzberg inmitten der herrlichen Berchtesgadener Bergwelt, Bilder einer harmlos inszenierten Berghof-Gesellschaft und in Berchtesgadener Tracht gekleideten Buben und Mädchen sind Teil einer ausgeklügelten Propaganda. Der Führer als nahbarer, normaler und naturverbundener Mensch, der in der heilen Gebirgswelt neue Kraft schöpft zum Wohle der (rein) deutschen Volksgemeinschaft. In Wirklichkeit war der Obersalzberg kein Führer-Urlaubsidyll, sondern der Ort, an dem viele der mörderischen Entscheidungen gefällt wurden, Verbrechen über Verfolgung, Krieg und Völkermord. Fast ein Viertel der Zeit zwischen 1933 und 1945 verbrachte er hier oben auf dem Berg. Der Obersalzberg war somit der zweite Regierungssitz, die heimliche Hauptstadt in den Bergen – der Täterort! Zuvor mussten allerdings an die 50 Anwesen, vor allem Bergbauern, ihre Anwesen unter Androhung der Einweisung ins KZ Dachau an den Nazistaat verkaufen. Aus der jahrhundertealten Bergbauernlandschaft und der touristischen Keimzelle („Pension Moritz“) entstand das SS-gesicherte Führersperrgebiet.
Bereits 1923 kam Hitler erstmalig auf den Obersalzberg. Er besuchte einen seiner frühesten Förderer und ideologischen Lehrherrn, Dietrich Eckart, der sich dort vor der Strafverfolgung versteckt hielt und über einen stattlichen Freundeskreis verfügte. Eine Schautafel ist daher auch betitelt mit „Der braune Boden“, wo eine Reihe von Nachbarn und lokalen Förderern näher vorgestellt werden. Dies und die großartige Landschaft veranlassten Hitler, immer öfter auf den Obersalzberg zurückzukehren, bis er 1928 das Haus Wachenfeld kaufte, das später zum Berghof ausgebaut wurde.
Die nach modernen museumspädagogischen und historischen Erkenntnissen errichtete Ausstellung zeigt in eindrucksvollen Dokumenten die unmittelbaren Auswirkungen der Nazi-Diktatur vor Ort, um an anderer Stelle den Weg in den Weltkrieg, den Völkermord an den Juden oder Vernichtungsorte wie Leningrad, Kaunas oder Auschwitz zu dokumentieren. Krieg und Völkermord waren die logische Konsequenz der beiden Grundpfeiler der nationalsozialistischen Ideologie: „Wir sind ein Volk ohne Raum!“ Das bedeutete von Anfang an Eroberungskrieg gegen Mittel- und Osteuropa, gegen die „slawischen Untermenschen“. „Wir wollen eine völkisch rassenreine Bevölkerung als Volksgemeinschaft!“ Das hieß die Abschiebung, Konzentrierung und letztendlich Liquidierung von „Artfremden“, also Juden, Sinti und Romas, Homosexuellen, Asozialen und linken Politikern.
Doch die völkisch-mörderische Rassenideologie kannte auch keine Gnade gegenüber „rein deutschen“ Personen, wenn diese krank bzw. körperlich oder geistig behindert waren. Anna Graßl aus Schönau am Königssee war gehörlos, kam nach dem Tod der Eltern in eine Pflegeanstalt, kam nach dem „Euthanasieurteil“ aus dem Jahre 1939 über mehrere Stationen in die sog. Pflegeanstalt nach Hartheim, nahe Linz, wo sie schließlich ermordet wurde. Und so wie Anna Graßl erging es gut 200 000 weiteren „unnützen Essern“, die unter tatkräftiger Mithilfe von Ärzten als „lebensunwert“ bezeichnet wurden und den „Gnadentod“ zu erleiden hatten. Allein im kleinen Berchtesgadener Talkessel waren es nachweislich mehr als 30.
Nach 1945, nach der totalen Niederlage Nazi-Deutschlands, war aus deutschem Munde oftmals zu hören: „Davon haben wir nichts gewusst.“ Nach dem heutigen Stand der Forschung war das wohl in den wenigsten Fällen die ganze Wahrheit. Viele Einheimische bekamen durch eine Anzeige in der Lokalzeitung und wohl auch über Mundpropaganda mit, dass das Hirschenhaus der jüdischstämmigen Dora Reiner in der Schönau unter staatlicher Aufsicht beschlagnahmt worden ist und der gesamte Hausrat zur Versteigerung angeboten wurde. Sehr viele Einheimische nahmen das günstige Angebot wahr, wohl wissend, dass die langjährige Besitzerin wegen ihrer jüdischen Abstammung deportiert worden war. Im litauischen Kaunas wurde sie 1941 ermordet.
„Juden sind in diesem Ort nicht erwünscht“, stand auf einem 1935 nahe der Berchtesgadener Bahnhofsbrücke angebrachten Schild. Aus diesem „Wunsch“ erwuchsen sehr bald handfeste Schikanen gegenüber lange ansässigen und hochgeachteten Persönlichkeiten, beispielsweise den Arzt Dr. Orthenau oder die Hotelierfamilie Moderegger vom Hotel Schiffmeister. Auch viele Vereine, beispielsweise der Deutsche Alpenverein, hielten sich an die rassistischen Arierparagraphen und ergänzten das „Berg-Heil“ mit dem „Sieg-Heil“. Nicht wenige der jungen bergbegeisterten Männer aus der HJ Bergfahrtengruppe („Berg-HJ“) fanden als Gebirgsjäger den Tod auf Kreta, in Norwegen oder im Kaukasus. Sie alle wurden Opfer einer Ideologie, die auf „ethnische Reinheit“ setzte und auf eine Volksgemeinschaft, die von allen politisch, religiös und unterrassig bezeichneten Fremdkörpern „gesäubert“ werden musste.
„Wer hier gewisse Parallelen zu den Remigrations-Fantasien der Rechtsextremisten und somit auch Teilen der AfD feststellt, liegt sicherlich nicht ganz falsch“, stellte abschließend Hans Metzenleitner fest, „denn auch damals begann alles zunächst mit fremden- und judenfeindlichen Hassreden und Ausgrenzung“. Er freute sich daher über diese einmalige historische Bildungsstätte, die den Faschismus vor Ort wie auch im nationalen Kontext auf beeindruckende Weise offenlegt. Als Mitglied der Bürgerinitiative Obersalzberg habe er zusammen mit Martin Rasp an der Spitze und vielen weiteren Mitkämpfern– anfangs gegen erhebliche Widerstände - in den 1990er-Jahren mithelfen dürfen, einen würdigen „Ort des Gedenkens“ entstehen zu lassen. Das „Zwei-Säulen-Konzept“ für den Obersalzberg der damaligen Bayerischen Staatsregierung habe dann die entscheidenden Weichen gestellt. Seit 1999, und nun in erweiterter Form, biete die Doku Einheimischen wie Gästen eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich über das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte wissenschaftlich-objektiv zu informieren. Die schon zuvor hohe Bereitschaft der Besuchergruppe, sich für die Demokratie aktiv einzumischen hat sich nach dem Besuch der Doku nochmals deutlich erhöht: Es muss beim „Nie Wieder Faschismus“ bleiben.